Reye-Syndrom – Warum Aspirin für Kinder gefährlich werden kann
Wenn Kinder nach einer eigentlich ausgestandenen Virus-Infektion an plötzlichem Erbrechen leiden, kann das seltene Reye-Syndrom dahinterstecken. Man vermutet, dass ein Zusammenhang mit einer vorangegangenen Salicylat-Einnahme besteht. Wie die Erkrankung behandelt wird und welche Folgen drohen, lesen Sie hier.
WAS IST DAS REYE-SYNDROM?
Als Reye-Syndrom bezeichnen Mediziner eine schwere Erkrankung von Kindern und Jugendlichen. Sie steht allem Anschein nach in Zusammenhang mit der Einnahme von Wirkstoffen aus der Gruppe der Salicylate. Der wohl bekannteste ist die Acetylsalicylsäure, abgekürzt ASS, die unter anderem unter dem Handelsnamen „Aspirin“ als Fieber- und Schmerzmittel in der Apotheke erhältlich ist.
Erstmals beschrieben wurde das Reye-Syndrom im Jahr 1963 durch den australischen Pathologen Ralph Douglas Kenneth Reye. In den 70er-Jahren wurden weitere Studien zu dieser Krankheit veröffentlicht, die eine Verbindung zwischen dem Reye-Syndrom und der vorangegangenen Einnahme von Salicylaten nahelegten. Eindeutig bewiesen ist dieser Zusammenhang aber bis heute nicht.
Kennzeichnend für das Reye-Syndrom sind schwere Schädigungen des Gehirns und der Leber. Ärzte nennen diesen Zustand auch „hepatische Enzephalopathie“. Die Krankheit tritt zwar selten auf, kann aber einen schweren Verlauf nehmen und lebensbedrohlich werden. Betroffen sind jährlich etwa zwei von 100.000 Kindern. Typischerweise sind die Patienten zwischen sechs Monaten und 15 Jahren alt, in Ausnahmefällen auch bis zu 18 Jahren. Als Vorsichtsmaßnahme wird davon abgeraten, Kindern Aspirin oder andere Salicylate zu geben und im Krankheitsfall auf andere Medikamente wie Paracetamol oder Ibuprofen auszuweichen.
WAS SIND DIE URSACHEN DES REYE-SYNDROMS?
Experten erforschen derzeit noch, welche genauen Auslöser hinter dem Reye-Syndrom stecken. Man konnte aber bereits beobachten, dass die erkrankten Kinder und Jugendlichen zuvor an einer meist harmlosen Virus-Infektion litten – also beispielsweise einer Erkältung, einer Grippe, einem Magen-Darm-Infekt oder den Windpocken. Wenn sie sich auf dem Weg der Besserung befinden, kommt es zu einem Rückschlag und das Reye-Syndrom bricht aus. Ein wichtiger Grund hierfür scheint eine vorangegangene Einnahme eines Salicylats, beispielsweise Aspirin, zu sein.
Experten gehen davon aus, dass die Acetylsalicylsäure die Mitochondrien schädigt, welche Experten auch als „Kraftwerke der Zellen“ bezeichnen. Infolgedessen können verschiedene Organe nicht mehr mit ausreichend Energie versorgt werden und es kommt zu Funktionsstörungen der Leber und des Gehirns. Darüber hinaus können die Nieren und die Muskeln in Mitleidenschaft gezogen werden.
Der genaue Zusammenhang zwischen der vorherigen Virus-Infektion, der ASS-Einnahme und dem Alter der Patienten ist aktuell nicht bekannt. Man nimmt aber an, dass genetische Faktoren bei der Entwicklung des Reye-Syndroms eine Rolle spielen.
WAS SIND DIE SYMPTOME DES REYE-SYNDROMS?

Das Reye-Syndrom tritt nach der Behandlung eines Virus-Infektes auf. (c) Rido/fotolia
Das Reye-Syndrom wird abhängig vom Schweregrad in Stadien von I bis V eingeteilt. Die Erkrankung beginnt mit einer Infektion der oberen Atemwege, einer Magen-Darm-Grippe oder Windpocken. Etwa fünf bis sieben Tage später – gerade wenn es scheint, der Virus-Infekt sei ausgestanden – fangen die Kinder an, ohne begleitende Übelkeit zu erbrechen.
Innerhalb eines Tages verschlechtert sich der Gesundheitszustand des kleinen Patienten: Die Betroffenen wirken teilnahmslos, unruhig und verwirrt. Dies ist ein Anzeichen für eine beginnende Hirnschwellung. Es sammelt sich Flüssigkeit im Gehirn, wodurch der Druck steigt und wichtige Nervenzentren gestört werden.
Die Kinder sind immer schlechter ansprechbar, zeigen Krampfanfälle und können ins Koma fallen. Gleichzeitig wird die Funktion der Leber beeinträchtigt, das Organ verfettet und vergrößert sich. Neben Ammoniak und anderen Stoffwechselprodukten lagert sich das gelbe Abbauprodukt Bilirubin im Blut an, wodurch die Haut und die Schleimhäute gelblich wirken. Die Folge der Leberbeteiligung sind verschiedene schwere Stoffwechselstörungen, die der Arzt dringend intensivmedizinisch behandeln muss, um das Leben des Kindes zu retten.
WIE ERKENNT DER ARZT DAS REYE-SYNDROM?
Bei Verdacht auf das Reye-Syndrom wird der Arzt die Eltern zunächst fragen, ob das Kind kürzlich an einem Virus-Infekt erkrankt war und/oder ob es ein Präparat mit dem Wirkstoff Acetylsalicylsäure eingenommen hat. Außerdem wird er sich nach Verhaltensauffälligkeiten wie Desorientierung und Rastlosigkeit erkundigen und die Leber abtasten. Anhand einer Blutuntersuchung bestimmt der Arzt die Leberwerte und kann verschiedene Abfallprodukte wie Ammoniak, Fett– und Aminosäuren im Blut nachweisen. Außerdem kann ein Blutzuckertestdurchgeführt werden, da auch eine Unterzuckerung, eine sogenannte Hypoglykämie, in Zusammenhang mit dem Reye-Syndrom auftreten kann.
Um die Diagnose zu sichern, kann eine Gewebeprobe aus der Leber entnommen und mikroskopisch untersucht werden. Da dieses Organ auch an der Gerinnung des Blutes beteiligt ist, zeigt der Patient unter Umständen eine verringerte Blutgerinnung, die der Arzt ebenfalls testen kann. Um einen erhöhten Hirndruck nachzuweisen, kann eine Computertomographie (CT) oder eine Magnetresonanztomographie (MRT) durchgeführt werden. Auch eine Lumbalpunktion, ein Elektroenzephalogramm (EEG) oder eine Ultraschalluntersuchung sind denkbar.
Wichtig ist, das selten auftretende Reye-Syndrom von anderen Krankheiten mit ähnlicher Symptomatik abzugrenzen. Dazu zählen beispielsweise erbliche Stoffwechselstörungen, eine Hirnhautentzündung und eine Blutvergiftung. Nicht verwechselt werden sollte das Reye-Syndrom mit dem Grey-Syndrom: Bei Letzterem handelt es sich um eine Erkrankung von Früh- und Neugeborenen, ausgelöst durch eine unreife Leber.
WIE WIRD DAS REYE-SYNDROM BEHANDELT?

Ein Bluttest enttarnt Abfallprodukte wie Ammoniak und Aminosäuren. (c) romaset/Fotolia
Die Ursachen des Reye-Syndroms kann der Arzt nicht behandeln. Die Therapie konzentriert sich darauf, das Leben des Patienten zu retten und die Symptome zu lindern. Es handelt sich bei dieser Erkrankung um einen lebensbedrohlichen Notfall, der schnellstmöglich intensivmedizinisch betreut werden muss. Da die Schädigung von Gehirn und Leber zu einer Vielzahl von Komplikationen führen kann, ist die Therapie des Reye-Syndroms äußerst komplex. Mithilfe verschiedener Medikamente, etwa durch den entwässernden Wirkstoff Mannitol, versucht der Arzt, den Druck im Gehirn zu senken.
Die funktionsgestörte Leber wird unterstützt, indem der Arzt beispielsweise den Ammoniakspiegel im Blut senkt. Da Leber und Niere eng zusammenarbeiten, ordnet der Arzt in einigen Fällen eine Dialyse an, um ein Nierenversagen zu verhindern.
Ist die Krankheit bereits weit fortgeschritten, kommt auch eine Operation infrage, etwa eine Lebertransplantation. Leidet der Patient unter einer Blutgerinnungsstörung, kann Vitamin K gegeben werden. Eine Unterzuckerung wird mit Glukose behandelt. Mitunter muss der Arzt den Patienten für die Behandlung ins Koma versetzen und künstlich beatmen. Hierbei überwacht der Arzt die Herz- und Lungenfunktion genau.
WIE KANN ICH DEM REYE-SYNDROM VORBEUGEN?
Die wichtigste Maßnahme ist, Kindern und Jugendlichen keine Salicylate zu geben.Aspirin wird heute bei jungen Patienten nur noch in Ausnahmefällen eingesetzt, etwa zur Behandlung einer juvenilen idiopathischen Arthritis oder des Kawasaki-Syndroms.
Seit der vermutete Zusammenhang zwischen dem Reye-Syndrom und der Einnahme von Acetylsalicylsäure in den 70er-Jahren bekannt wurde und die Beipackzettel mit entsprechenden Warnhinweisen versehen wurden, sind die Krankheitsfälle deutlich zurückgegangen. Leidet Ihr Kind unter Fieber und Schmerzen, sollten Sie auf andere Medikamente zurückgreifen. Ihr Kinderarzt berät Sie dazu.
WIE SIND DIE HEILUNGSCHANCEN BEIM REYE-SYNDROM?
Die Letalität bei vorliegendem Reye-Syndrom ist hoch. Je weiter die Erkrankung fortgeschritten ist, desto geringer ist die Überlebenschance des Patienten. Erkennt der Arzt die Krankheit bereits in der Anfangsphase, also in Stadium I, versterben nur zwei Prozent der Erkrankten. In Stadium IV oder V, insbesondere wenn der Patient bereits ins Koma gefallen ist, ist die Prognose deutlich ungünstiger: Dann versterben 80 Prozent der Betroffenen.
Im Durchschnitt überstehen etwa 50 Prozent der Patienten die Erkrankung, jedoch bleiben in vielen Fällen Folgeschäden zurück. Dazu zählen Lähmungserscheinungen, Muskelschwäche, Sprachstörungen, Konzentrationsprobleme und Anfallsleiden. Und: Grundsätzlich ist es möglich, zweimal am Reye-Syndrom zu erkranken.