Kompakt: Inkontinenz

Inkontinenz

Inhaltsverzeichnis

Es passiert beim Lachen, Niesen oder Umgraben im Garten: Die Blase verliert Urin, ohne dass man es verhindern könnte. Oder der Harndrang setzt ganz plötzlich ein und ist nicht zu steuern. Inkontinenz nennen Mediziner dieses Problem, das für Betroffene zur großen Belastung werden kann.

Was versteht man unter Inkontinenz?

Unter dem Begriff Inkontinenz wird in der Medizin eine ganze Reihe von Erkrankungen zusammengefasst. Im Alltag wird darunter meist Harninkontinenz verstanden. Inkontinenz ist ein Negativbegriff, der sich vom Wort „Kontinenz“ ableitet. Darunter versteht man, dass die Urinentleerung der Blase willentlich gesteuert wird. Inkontinenz bedeutet also den Abgang von Urin gegen den eigenen Willen. Für den Arzt liegt sie bereits dann vor, wenn nur wenige Tropfen Urin ungewollt abgelassen werden.

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Vor allem Frauen ab den mittleren Lebensjahren sind von Inkontinenz betroffen. Aber auch jüngere Menschen und Männer können unter Inkontinenz leiden.

Experten schätzen, dass etwa sechs Millionen Menschen in Deutschland betroffen sind. Die Diagnose bei Inkontinenz kann sehr aufwändig sein. In den meisten Fällen lassen sich die Beschwerden aber gut lindern. Viele Betroffene sprechen jedoch aus Scham nicht über ihr Problem und versagen sich so die Möglichkeit einer Besserung.

Verschiedene Formen der Harninkontinenz

Es gibt verschieden Arten von Inkontinenz. In vielen Fällen treten sie nicht allein, sondern in Kombination mit anderen auf.

1. Belastungsinkontinenz

Werden die Muskeln im Bauchraum oder im Becken belastet, verliert die Blase unkontrolliert Harn. Husten, Lachen, Springen oder Niesen reichen häufig schon aus. Schwere körperliche Arbeit kann denselben Effekt auslösen. Wenn auch im Liegen oder im Schlaf Harn abgeht, spricht man von schwerwiegender Belastungsinkontinenz.

2. Drang-Inkontinenz

Egal, wie voll die Blase tatsächlich ist – bei der Drang-Inkontinenz melden die Sinneszellen in der Blasenwand viel zu oft höchste Belastung. Ein starker Harndrang setzt dann jedesmal ein. Wer darunter leidet, muss öfter als andere zur Toilette. Schafft er es nicht rechtzeitig und gibt der Schließmuskel dem Blasendruck nach, tritt Urin aus.

3. Überlauf-Inkontinenz

Bei dieser Form der Inkontinenz entleert sich die Blase nie ganz. Es bleibt nach jedem Toilettengang etwas Harn darin zurück (Fachbegriff: Harnretention). Diese Restmengen addieren sich und die Blase wird immer voller. Kommt dann aus dem Organismus noch etwas Flüssigkeit hinzu, „läuft“ die Blase „über“: Der Schließmuskel kann dem Druck nicht mehr standhalten und Urin geht ab.

Was sind die Symptome von Inkontinenz?

Das wesentliche Merkmal der Inkontinenz ist, dass der Urin nicht mehr willentlich zurückgehalten werden kann, sondern häufig unwillkürlich abgeht. Dem ungewollten Wasserlassen geht meist ein Harndrang voraus, der plötzlich auftritt und sehr stark ist. Betroffene schaffen es oft nicht mehr rechtzeitig auf die Toilette und der Urin geht schwallartig ab. Inkontinenz tritt häufig in Episoden auf, das heißt: Zu gewissen Zeiten sind die Beschwerden stark ausgeprägt, zu anderen nur schwach – ohne ersichtlichen Grund.

Liegen zwischen den Toilettenbesuchen weniger als 30 Minuten, spricht man von der überaktiven Blase (Reizblase), die von Inkontinenz begleitet sein kann. Die Ursachen können eine bakterielle Infektion, ein Blasentumor, Nervenerkrankungen, Schäden am Rückenmark oder Fremdkörper in der Blase (zum Beispiel Blasensteine) sein. Sehr häufig lässt sich aber keine körperliche Ursache für die Reizblase finden.

Welche Ursachen kommen in Frage?

In vielen Fällen sind eine geschwächte Beckenbodenmuskulatur oder ein schwacher Schließmuskel die Ursache der Inkontinenz. Viele (vaginale) Geburten können das bewirkt haben. In seltenen Fällen kann sich zwischen Scheide und Harnblase eine Fistel gebildet haben – als Folge einer Verletzung, Operation oder Strahlentherapie. Bei Männern ist Inkontinenz häufig die Folge einer Operation im Rahmen einer Prostataerkrankung.

Auch hormonelle Ursachen kommen in Frage – vor allem bei Frauen vor und während der Menopause. Die weiblichen Geschlechtshormone, die Östrogene, sind wichtig für eine stabile Blasenschleimhaut. Geht der Spiegel der Botenstoffe im Blut zurück, bildet sich die Schleimhaut im Blasenausgangsbereich zurück und es kann zu unwillkürlichem Wasserlassen kommen.

> Lesen Sie hier mehr über Blasenschwäche in den Wechseljahren

Wie erkennt der Arzt Inkontinenz?

Der Experte für das Problem Inkontinenz ist der Urologe. Er wird eine Reihe von Basisuntersuchungen durchführen, um die Ursache der Beschwerden zu ermittteln: Eine genaue Befragung (Anamnese), eine körperliche Untersuchung, eine Untersuchung des Urins auf Eiweiße, Entzündungswerte oder Blut ist meist der erste Schritt. Außerdem werden Harnblase, Harnröhre und meist auch die Nieren mit Ultraschall untersucht.

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Blasenspiegelung
Sind alle Befunde zunächst unauffällig, sollte als nächster Schritt eine Blasenspiegelung erfolgen. Dabei erkennt der Arzt, ob das Organ krankhaft verändert ist. Außerdem kann er anschließend den Zustand der Beckenbodenmuskulatur und des Blasenschließmuskels besser beurteilen. Bei Frauen wird zudem häufig die Vagina untersucht, um zu erkennen, ob die Blase sich eventuell abgesenkt hat.

Miktion- und Trink-Protokoll
Damit die Diagnose auf möglichst objektiven Informationen beruht, ist es sinnvoll, das Ausmaß und die Art der Inkontinenz zu ermitteln – zum Beispiel durch ein Protokoll des Wasserlassens und Trinkens. Der Patient notiert dafür unter anderem folgende Werte und Informationen: Wie viel wurde getrunken und wann? Zu welchen Uhrzeiten wurde die Toilette aufgesucht? Wie viel Urin wurde bei den einzelnen Toilettengängen abgegeben? Solche Protokolle werden üblicherweise über 48 Stunden angelegt.

Pad-Test
Um festzustellen, wie viel Harn unwillkürlich abgeht, empfehlen manche Ärzte einen Pad-Test. Der Patient trägt dazu eine spezielle Inkontinenzvorlage, ein sogenanntes Pad, das nach einer vorab festgelegten Belastung oder Zeitspanne zeigt, wie viel Urin verloren wurde.

Blasendruckmessung
Kann immer noch keine eindeutige Ursache festgestellt werden, wird die Funktion von Blase und Schließmuskel mit einer Blasendruckmessung überprüft: Mithilfe eines Blasenkatheders wird die Blasenfüllung und -entleerung künstlich simuliert. Dabei kann gemessen werden, ab welchem Flüssigkeitsvolumen in der Blase der Betroffene Harndrang verspürt, welcher Druck dann in der Blase herrscht und wie die Blasenentleerung durch die Nerven gesteuert wird. Die Ergebnisse dieser urodynamischen Messung helfen, die Ursache der Inkontinenz zu ermitteln und festzustellen, ob eine operative Therapie sinnvoll ist.

Bis die richtige Diagnose gefällt ist, kann einige Zeit vergehen. Doch Geduld zahlt sich aus. Die Ursachen der Harninkontinenz genau zu kennen, ist notwendige Voraussetzung, um die passende Behandlung zu wählen.

Wie wird Inkontinenz behandelt?

Konnte eine Grunderkrankung als Ursache für die Inkontinenz ausgeschlossen werden, setzen Urologen vor allem auf konservative Therapieformen wie eine veränderte Lebensführung, angeleitetes Beckenbodentraining oder Medikamente. Neben der Ursache spielt auch der Schweregrad der Inkontinenz eine große Rolle bei der Behandlung. Viele Kliniken bieten mittlerweile Inkontinenz- oder Beckenboden-Sprechstunden an. Die Experten dort können bei der Suche nach der passenden Behandlung weiterhelfen und Tipps für das Leben mit Inkontinenz im Alltag geben.

Therapie der leichten Belastungsinkontinenz

Eine Belastungsinkontinenz lässt sich in vielen Fällen durch eine Veränderung des Lebensstils gut in den Griff bekommen. Menschen mit Übergewicht entlasten zum Beispiel ihre Blase, indem sie abnehmen. Mehr Ballaststoffe in der Ernährung sind ebenfalls hilfreich. Wer das Rauchen aufgibt, hilft der Blase dabei, wieder normal zu funktionieren.

Eine wichtige Begleitmaßnahme ist, die Beckenbodenmuskulatur durch gezieltes Training zu stärken, das unter fachkundiger Anleitung (zum Beispiel eines Physiotherapeuten) erlernt wurde. Der Schlüssel zum Erfolg, sprich zur Kontinenz, ist dabei Regelmäßigkeit über viele Wochen und Monate.

Begleitend zum Training des Beckenbodens empfehlen viele Ärzte ein Medikament mit dem Wirkstoff Duloxetin, um die Blasenfunktion zu normalisieren. Die Nebenwirkungen dieser Therapie müssen zuvor sorgfältig abgewogen werden.

Auch die Behandlung mit Östrogenen kann helfen, denn sie stärkt die Schleimhaut der Blase. Allerdings birgt jede Hormon-Therapie auch Risiken, die abgeklärt werden müssen.

Therapie der schweren Belastungsinkontinenz

Eine Operation ist unter Umständen angezeigt, wenn die Belastungsinkontinenz schwerwiegend ist und zum Beispiel nachts oder im Liegen unwillkürlich Urin abgeht. Es gibt bereits eine Vielzahl operativer Methoden. Zum Teil werden bei den Eingriffen Implantate oder Kunststoffgewebe eingesetzt, zum Teil wird Gewebe entfernt oder gestrafft. Beispiele für solche Operationen sind:

  • die Harnröhrenschlingensuspension (auch: TVT)
    Ein Band mit Netzstruktur wird um das untere Drittel der Harnröhre gelegt. Sein Durchmesser erzeugt keine Spannung, sorgt aber bei Belastung (wie Husten oder Pressen) dafür, dass sich die Harnröhre fest verschließen kann und es zu keinem unwillkürlichen Harnverlust kommt. Der Vorteil: Diese Methode ist in 70 bis 80 Prozent der Fälle erfolgreich. Ein Nachteil: Das Material verwächst im Laufe der Zeit mit dem Bindegewebe, das die Harnröhre umgibt. Auch Schmerzen oder ein Fremdkörpergefühl können die Folge sein.
  • die Stärkung des Beckenbodens durch Fremdmaterial
    Hat sich bei einer Frau der Beckenboden gesenkt und verursacht dies die Inkontinenz, kann es helfen, wenn die Muskulatur durch eingebrachte Netzmaterialien gestärkt wird.
  • eine Anhebung des Blasenhalses
    Alternativ kann auch der sogenannte Blasenhals an der Unterseite der Blase operativ angehoben werden – ohne dass fremdes Material zum Einsatz kommt.

Inkontinenz beim Mann

Vor allem bei sehr radikalen Operationen bei Prostatakrebs kann es zu einer Verletzung des Schließmuskels kommen. Inkontinenz kann eine vorübergehend Folge solcher Eingriffe sein. Deshalb sollten Männer nach Prostataoperationen ihren Beckenboden konsequent und langanhaltend trainieren. Sind die Erfolge dadurch nicht ausreichend, kann auch Männern der Einsatz von Bändern oder Netzen helfen.

Bei sehr ausgeprägten Formen der Inkontinenz kann auch die Implantation eines künstlichen Blasenschließmuskels sinnvoll sein. Vorteil: Die Erfolgsrate ist hoch. Nachteil: Das Implantat muss händisch bedient werden – nach jedem Toilettenbesuch. Weiterhin bergen Implantate ein Infektionsrisiko bei bakterieller Besiedlung, was zu Folgeoperationen führen kann.

Therapie der Drang-Inkontinenz

Konnte abgeklärt werden, dass keine Erkrankung (zum Beispiel Multiple Sklerose) die Ursache der Inkontinenz ist, setzen Ärzte vor allem auf konservative Methoden, um eine Drang-Inkontinenz zu behandeln.

Behandlung mit Medikamenten
Häufig werden keine körperlichen Ursachen für eine Drang-Inkontinenz gefunden. Dann setzt man auf Medikamente. Rezeptoren in der Blasenwand signalisieren dem Gehirn den „Wasserstand“ im Organ. Manchmal reagieren sie zu empfindlich und schlagen schon bei geringer Befüllung der Blase Alarm und großer Harndrang setzt ein. Es gibt Medikamente, die diese Überaktivität verringern – sogenannte Anticholinergika. Außerdem gibt es Medikamente, die die Blasenmuskulatur stärken.

Änderung des Lebensstils
Getränke, die Harndrang verstärken können (Alkohol, Kaffee, Tee) sollten gemieden werden. Blasenentzündungen sollten mit Antibiotika behandelt werden. Blasensteine sollten – falls vorhanden – entfernt werden.

Behandlung mit Botox
Botulinumtoxin ist ein Wirkstoff, der in seiner Kurzform „Botox“ vielen aus der Anti-Falten-Behandlung bekannt ist. Da er die Muskelaktivität hemmt, wird er bei schweren Harninkontinenzen eingesetzt, um die überaktive Blasenmuskulatur zu beruhigen. Dazu wird der Wirkstoff bei lokaler Betäubung während einer Blasenspiegelung in den Blasenmuskel gespritzt.

Botulinumtoxin wird langsam, aber stetig vom Körper abgebaut. Daher ist die Wirkung dieser Behandlung nur vorübergehend. Die Injektion muss nach sechs bis zwölf Monaten wiederholt werden. Unerwünschte Nebenwirkung: Die richtige Dosierung des Wirkstoffs ist knifflig. Ist sie zu hoch und fällt die Wirkung zu stark aus, muss der Patient eine gewisse Zeit lang seine Blase katheterisieren, um sie vollständig leeren zu können.

Behandlung mit Biofeedback und Elektrostimulation
Eine Alternative zu Medikamenten oder Operationen kann das sogenannte Biofeedback sein. Diese Methode versucht, eine Linderung der Inkontinenz zu erreichen, indem sie unbewusste Körpervorgänge wie die Kontraktion der Beckenbodenmuskulatur oder des Blasenschließmuskels bewusst erlebbar macht (zum Beispiel durch optische oder akustische Anzeigen). Diese Therapien benötigen elektronische Hilfsmittel und werden nicht von allen gesetzlichen Krankenkassen übernommen.

Wie kann man Inkontinenz vorbeugen?

Je mehr Risikofaktoren vorliegen (viele Geburten, hohes Alter, schwaches Bindegewebe, chronische Verstopfung), desto wahrscheinlicher tritt Inkontinenz früher oder später auf. Doch durch präventive Maßnahmen lässt sich ihre Entwicklung stark verlangsamen oder sogar ganz ausbremsen:

Beckenboden trainieren: Das Training gilt als die wirksamste Vorbeugung – vor allem für Menschen mit schwachem Bindegewebe und für Frauen nach einer Geburt.

Übergewicht verhindern: Jedes Pfund zu viel belastet die Blase. Urologen schätzen, dass Episoden von Inkontinenz nur noch halb so oft auftreten, wenn Betroffene ihr zu hohes Körpergewicht um fünf bis zehn Prozent verringern.

Chronischen Husten und chronische Verstopfung therapieren: Wer beim Stuhlgang regelmäßig stark pressen muss, schwächt auf Dauer sein Schließmuskelsystem. Durch ballaststoffreiche Ernährung kann das vermieden werden. Auch häufiges, heftiges Husten schwächt Blasen- und Schließmuskel.

Sport treiben: Radfahren, Schwimmen, Walking oder Yoga zählen zu den Sportarten, die den Beckenboden entlasten.

Blase trainieren: Dem ersten Harndrang nicht gleich nachgeben und stattdessen versuchen, ihn hinauszuzögern. Erst auf Toilette gehen, wenn der Harndrang wieder nachgelassen hat.

Ausreichend trinken: Konzentrierter Urin reizt den Blasenmuskel. Allerdings nicht zu viel trinken. Eineinhalb bis zwei Liter täglich sind ideal.

Inkontinenz: Ein langwieriges Problem

Viele Betroffene erdulden ihre Harninkontinenz. Eine Befragung der Deutschen Kontinenz Gesellschaft ergab, dass etwa 60 Prozent aller Betroffenen unbehandelt bleiben. Gleichzeitig gaben von denen, die sich behandeln hatten lassen, 60 Prozent an, mit der Therapie unzufrieden zu sein. Das zeigt: Betroffene brauchen auf dem Weg zur Kontinenz einen langen Atem. Doch Engagement und Geduld lohnen sich: Ist die richtige Therapie gefunden, kann das Problem Inkontinenz nachhaltig gelöst werden und die Entfernung der nächsten Toilette spielt im Alltag (fast) keine Rolle mehr.

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