Die Diagnose Multiple Sklerose (MS) ist für Betroffene eine Schreckensnachricht. Die Erkrankung des Zentralen Nervensystems ist nicht heilbar und ihre Folgen häufig schwerwiegend. Doch die medizinische Forschung zu MS hat große Fortschritte gemacht, die das Leben mit der Krankheit erleichtern.
Was ist Multiple Sklerose?
Multiple Sklerose (MS) ist eine chronisch entzündliche Erkrankung des Zentralen Nervensystems. Betroffen sind das Gehirn und das Rückenmark – entsprechend lautet der medizinische Fachbegriff „Encephalomyelitis disseminata“, was so viel wie „verstreute Hirn- und Rückenmarksentzündung“ bedeutet. Gleichzeitig ist MS eine Autoimmunerkrankung, denn Auslöser ist das körpereigene Immunsystem.
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Die ersten Symptome treten meist im Alter zwischen 20 und 40 Jahren auf. In dieser Altersgruppe ist MS die häufigste neurologische Erkrankung.
Vor allem der Verlauf der Multiplen Sklerose, aber auch ihre Symptome und die Möglichkeiten der Behandlung sind von Patient zu Patient sehr unterschiedlich. Verallgemeinernde Aussagen zu diesen Aspekten der Erkrankung sind daher nur bedingt möglich.
In Deutschland sind etwa 120.000 bis 150.000 Menschen an Multipler Sklerose erkrankt. Frauen erkranken häufiger als Männer daran. Die Zahl der Neuerkrankungen nahm in den letzten Jahrzehnten stetig zu. Immer häufiger zählen auch Kinder, Jugendliche oder Menschen, die älter als 45 Jahre sind, zu den Betroffenen.
Multiple Sklerose ist derzeit nicht heilbar. Allerdings lässt sich bei bestimmten Betroffenen die Häufigkeit von Krankheitsschüben kontrollieren. Dadurch können das Fortschreiten der Erkrankung verzögert und die Beschwerden gelindert werden.
Was sind die Ursachen von Multipler Sklerose?
Im Zentralen Nervensystem findet ein steter Informationsfluss statt. Hauptakteure sind die Nervenzellen, die miteinander kommunizieren, indem sie über die Nervenbahnen Signale senden und empfangen. Teile bestimmter Nervenzellen sind mit einer sogenannten Myelinscheide umgeben – einer Art Schutzschicht, die eine besonders schnelle und stabile Übertragung der Nervensignale ermöglicht.
Bei Multipler Sklerose greifen Zellen des körpereigenen Immunsystems die Myelinscheiden an. Eine Entzündung entwickelt sich und setzt den Myelinscheiden langfristig so sehr zu, dass es zu einem Abbau der Schutzschicht kommt. Der betroffene Nerv funktioniert dann nicht mehr einwandfrei und in späteren Stadien der Krankheit unter Umständen gar nicht mehr.
Weil dieser Prozess überall dort ablaufen kann, wo Nervenzellen sind, können alle Teile des Körpers von diesem Angriff des Immunsystems auf das Zentrale Nervensystem betroffen sein.
An Multipler Sklerose erkranken Frauen signifikant häufiger als Männer
Was die Autoimmunreaktion auslöst, ist bis dato noch nicht vollständig geklärt. Wissenschaftler gehen derzeit davon aus, dass das Immunsystem bestimmte Einweiß-Bausteine der Myelinscheide als Fremdkörper wahrnimmt und darum bekämpft. Als sicher gilt, dass bei dieser Fehlfunktion die Gene eine Rolle spielen. Dennoch ist MS keine Erbkrankheit, da nicht die Krankheit selbst, sondern ein erhöhtes Risiko vererbt wird.
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Eine akute Entzündung an einer oder mehreren Stellen im Organismus nennt man einen Schub. Solch ein Krankheitsschub macht sich durch Störungen oder Ausfälle von Körperfunktionen bemerkbar, die auch von Schmerzen begleitet sein können.
Ein Schub tritt nicht anfallsartig auf, sondern entwickelt sich über Stunden oder Tage und klingt anschließend wieder ab. Die Beschwerden können dabei wieder ganz zurückgehen. Es kann aber auch zu dauerhaften Beeinträchtigungen bis hin zu Behinderungen kommen – nämlich dann, wenn das entzündete Nervengewebe vernarbt (Fachbegriff: sklerosiert).
Welche Symptome zeigen sich?
Die Symptome der Multiplen Sklerose fallen von Patient zu Patient und von Schub zu Schub sehr unterschiedlich aus. Dennoch gibt es eine Reihe von Beschwerden, die besonders häufig auftreten und typisch sind für die unterschiedlichen Stadien der Erkrankung:
Erstsymptome sind häufig eine gestörte Bewegungskoordination, Gefühls- oder Gleichgewichtsstörungen. Die Betroffenen stolpern zum Beispiel auf einmal vermehrt oder sehen sich mit zum Teil schmerzhaften Missempfindungen konfrontiert (starkes Kribbeln, Taubheitsgefühl). Ein Drittel der Betroffenen leidet in diesem Stadium auch unter Sehstörungen.
Später kann es zur Lähmung von Gliedmaßen kommen, vor allem der Beine. Auch die Funktion der Blase oder der Sexualorgane kann gestört sein.
Auf geistiger Seite sind als typische MS-Symptome nachlassende Konzentration und Merkfähigkeit, aber auch Depressionen zu nennen. Zudem sind Erkrankte häufig ungewöhnlich schnell und stark erschöpft.
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Es ist diese Häufung geistiger und körperlicher Beschwerden, die – vor allem wenn sie sehr ausgeprägt sind – dazu führt, dass die Lebensqualität vieler MS-Patienten stark eingeschränkt ist.

Wie erkennt der Arzt Multiple Sklerose?
Der Facharzt bei Multipler Sklerose ist der Neurologe beziehungsweise Nervenarzt. Er wird zunächst ein ausführliches Gespräch mit dem Patienten führen. Danach folgt eine ausführliche neurologische Untersuchung, um abzuklären, ob eine andere Erkrankung (zum Beispiel Borreliose, HIV-Infektion oder Gefäß- und Stoffwechselerkrankungen) als Ursache infrage kommt.
Weitere Untersuchungen helfen, die Diagnose abzusichern:
- Untersuchung der Gehirn- und Rückenmarksflüssigkeit (Liquoruntersuchung),
- Analyse bestimmter Eiweiße und Zellen,
- Kernspintomographie (MRT),
- Elektrophysiologische Messungen (zum Beispiel der Leitungsfähigkeit der Sehnerven)
Die Feststellung, dass eine MS-Erkrankung vorliegt, ist eine Ausschlussdiagnose – das heißt: Alle anderen Krankheiten müssen als mögliche Ursache für die Symptome ausgeschlossen sein. Als Experte weiß der Neurologe genau, welche Kriterien die Befunde erfüllen müssen, damit die Diagnose MS valide ist.
Wie lässt sich Multiple Sklerose behandeln?
Die Ursachen der Multiple Sklerose können derzeit nicht behandelt werden – sprich: der Angriff des Immunsystems auf körpereigene Zellen. Das Ziel der Therapie ist es, die dadurch verursachten Entzündungen so weit wie möglich einzudämmen oder ihnen vorzubeugen. Außerdem sollen die Körperfunktionen der Patienten so lange wie möglich voll erhalten bleiben und Begleitsymptome wie Schmerzen oder depressive Verstimmungen gelindert werden.
Einer der zwei Schwerpunkte der MS-Therapie ist die Behandlung akuter Schübe. Die Patienten erhalten dann in der Regel hochdosiertes Cortison, das die Entzündungsreaktion hemmt. Führt auch eine wiederholte Behandlung damit nicht zum Erfolg, ist eine sogenannte Blutwäsche (Fachbegriff: Plasmaseparation) angezeigt.
Der zweite Schwerpunkt der Behandlung ist das Vorbeugen von Schüben, die sogenannte immunprophylaktische Therapie. Es gibt sie in zwei Stufen, denn moderate Verlaufsformen der MS werden anders behandelt als schwere.
Die Basistherapie setzt vor allem auf Medikamente, die schützende Prozesse des Immunsystems fördern und seine schädlichen Aktivitäten hemmen. Zudem werden häufig auch Substanzen gegeben, die entzündungshemmende Eigenschaften haben. Medikamente, die die Aktivität des Immunsystems unterdrücken (sogenannte Immunsuppressiva), werden nur in Ausnahmefällen eingesetzt.
Ist der Verlauf der MS schwerwiegender (Fachbegriff: hochaktive Verlaufsform), werden Medikamente angewandt, die therapeutisch wirksamer, aber auch risikoreicher sind. Eine monatliche Gabe eines Antikörpers durch Infusion ist eine solche Therapieoption. Er verhindert, dass weiße Blutkörperchen in die Entzündungsherde eindringen. Ein weiteres Medikament sorgt dafür, dass die Immunzellen aus den Lymphknoten nicht ins Blut gelangen. Sehr selten werden Substanzen aus der Krebstherapie eingesetzt.
Grundsätzlich ist der Erfolg der medikamentösen Therapie sehr von der jeweiligen Verlaufsform der MS abhängig. Eine bestimmte Form der Multiplen Sklerose, die sogenannte primär-progrediente Verlaufsform, kann durch Medikamente nicht beeinflusst werden.
Wie lässt sich Multiple Sklerose vorbeugen?
Die Ursachen Multipler Sklerose sind noch nicht endgültig geklärt. Darum ist derzeit eine Prävention nicht möglich. Wer jedoch Krankheitsfälle in der Familie hat und dadurch möglicherweise ein erhöhtes Risiko, sollte für eine Einschätzung mit seinem Hausarzt sprechen.
Wer bereits erkrankt ist, kann unter Umständen beeinflussen, wie häufig Schübe auftreten. Er sollte vor allem folgende Risikofaktoren meiden:
- Virusinfektionen (wie Grippe oder Masern)
- Hyposensibilisierung gegen Allergien
- Hormonschwankungen
- Medikamente, die das Immunsystem beeinflussen (zum Beispiel Mittel mit Echinacea)
- körperlichen Stress, wie er zum Beispiel durch Operationen ausgelöst wird
Wie gut sind die Heilungschancen?
Multiple Sklerose ist derzeit nicht heilbar und begleitet Betroffene ein Leben lang. Auch lässt sich kaum vorhersagen, welchen Verlauf die Erkrankung beim Einzelnen nehmen wird. Heute kann etwa jeder dritte Betroffene mit einem günstigen Verlauf der Krankheit rechnen. Ein weiteres Drittel erleidet im Verlauf der Krankheit Behinderungen, kann aber ein selbstbestimmtes Leben führen. Das letzte Drittel der Erkrankten muss schwere Behinderungen in Kauf nehmen. In manchen Fällen führt MS bei dieser Patientengruppe auch zum Tod.
Ein Erfahrungswert der letzten Jahrzehnte ist, dass nach 25 Jahren Krankheitsdauer noch rund 30 Prozent der Betroffenen ihrem Beruf nachgehen können. Etwa 65 Prozent können dann noch laufen. Voraussetzung hierfür ist eine optimale Behandlung, die so früh wie möglich einsetzen sollte.