Apps, Bluetooth und Internet – was das mit Diabetes zu tun hat? So einiges. Denn Hilfsmittel auf Basis digitaler Technik können Zuckerkranken heute das Leben mit ihrer Krankheit ganz enorm erleichtern. Doch nur wer die Angebote kennt, kann davon profitieren. Wir stellen Ihnen die digitalen Hilfen vor.
Wer mit Diabetes – egal, ob Typ 1 oder 2 – so gut wie möglich leben will, muss viel dafür tun. Sich bewusst ernähren zum Beispiel. Oder relevante Werte wie den Blutzucker ständig im Blick behalten. Hilfsmittel auf Basis digitaler Technik können Zuckerkranke beim „Management“ ihres Diabetes effektiv unterstützen, davon ist Bastian Hauck überzeugt.
Zur Person: Bastian Hauck ist Typ-1-Diabetiker. Vor Jahren suchte er nach einer Möglichkeit, sich mit anderen Betroffenen über das Internet auszutauschen und gründete schließlich die Deutsche Diabetes Online Community #dedoc°.
Informieren, dokumentieren und messen mit Apps
Das Angebot mobiler Applikationen für das Smartphone (sogenannte Apps), die das Etikett „für Diabetiker“ tragen, ist groß. Ebenso die Vielfalt der verfügbaren Funktionen und Nutzungsmöglichkeiten. Für eine erste Orientierung lassen sich derzeit drei große Gruppen von Apps unterscheiden:
1. Digitalisierte Information
Diabetiker, die sich früher über den Kohlenhydrate-Gehalt von Lebensmitteln informieren wollten, mussten Bücher mit entsprechenden Tabellen wälzen. Die erste Generation von Apps für Diabetiker bot diese Informationen erstmals in digitaler Form an – und ist auch heute noch verfügbar.
Der Mehrwert: umfassende Information, inklusive praktischer Suchfunktion für schnelles Auffinden, sowie Speichermöglichkeiten.
2. Digitale Dokumentation
Die zweite Generation von Apps übernahm die Funktion des Tagebuches, das Diabetiker führen sollten, um ihre Ernährung, Blutzuckerwerte, Bewegungseinheiten oder ihr Befinden für sich und ihren behandelnden Arzt zu dokumentieren.
Der Mehrwert: „Der große Vorteil der digitalen Tagebücher ist, dass man eine ganze Menge mehr Informationen erfassen kann“, findet Bastian Hauck. „Man kann zum Beispiel seine Mahlzeiten nicht nur aufschreiben, sondern auch abfotografieren und speichern, um später immer zu wissen: ‚Was habe ich an diesem Tag gegessen?‘ “
Außerdem lässt sich mit ein paar Mal Tippen auf dem Touchscreen das körperliche Befinden dokumentieren. Die erfassten Daten lassen sich jederzeit auslesen, filtern und auswerten – um zum Beispiel Muster zu erkennen: „So kann man feststellen, dass der Blutzucker nachmittags gegen 16 Uhr immer zu hoch ist.“ Im Gespräch mit dem Arzt kann mithilfe der Daten aus der Tagebuch-App die Ursache bestimmt und entsprechende Schlüsse gezogen werden.
Plus: Die meisten „Tagebuch“-Apps ermöglichen es, die Daten per E-Mail oder Soziale Medien mit anderen (zum Beispiel dem Diabetologen) zu teilen.
3. Digitale Messung
Blutzuckermessung bedeutet heute nicht mehr unbedingt „Stechen“. Sogenannte CGM-Systeme (von Englisch: Continuous Glucose Monitoring, auf deutsch: kontinuierliche Glucose-Messung) erfassen über einen Sensor, der am Körper getragen wird, den Zuckergehalt des Gewebes. Die neueste Generation dieser Geräte benötigt kein separates Auslesegerät mehr, sondern überträgt sie per Bluetooth-Technologie in kurzen Intervallen automatisch aufs Smartphone – wo sie von einer App erfasst werden.
Der Mehrwert: Die App zeigt nicht nur den aktuell ermittelten Glucose-Wert an, sondern warnt akustisch, optisch und durch Vibrieren den Träger des CGM-Systems, wenn Unter- oder Überzuckerung drohen – das Gerät denkt also mit. „Als Nutzer kann ich dann reagieren und gegensteuern, bevor es überhaupt zu Symptomen kommt“, sagt Bastian Hauck.
Plus: Die Daten aus CGM-Apps können (je nach Hersteller) in eine „Tagebuch“-App übertragen und dadurch noch besser durch weitere Informationen (Ernährung, Sportprogramm, Befinden) kontextualisiert werden.
Alles toll oder gibt es auch Risiken?
Egal, ob Information, Dokumention oder sogar Messung und Prognose der Zuckerwerte: Apps können Diabetikern das Leben mit ihrer Erkrankung ganz wesentlich erleichtern. Doch weil jede (digitale) Technologie Risiken birgt, sind auch Apps nicht der Stein der Weisen für Zuckerkranke.
Risiko Datenschutz
Die durch Diabetiker-Apps erfassten und gespeicherten Daten sind extrem sensibel. Werden sie geteilt, dann nur mit ausgewählten Personen, allen voran dem Arzt. Doch wie groß ist die Gefahr, dass andere sich Zugang zu diesen Daten verschaffen? „Es ist grundsätzlich möglich,“ so Bastian Hauck, „dass diese Daten Schaden anrichten, wenn sie in die falschen Hände gelangen.“ Hacker könnten sich ihrer bemächtigen und sie zum Beispiel Lebensversicherungen oder Krankenkassen zuspielen.
Zwar bestehe keine akute Gefahr, aber „man weiß nicht, was die Zukunft bringt,“ gibt der Experte zu bedenken. Er sieht den Gesetzgeber hier gefordert, den Datenschutz von Diabetiker-Apps noch weiter auszudehnen.
Risiko unklare Haftung
Die Frage, wer im Falle einer Fehlinformation durch eine App haftet, ist bis dato ungeklärt, sagt Bastian Hauck. Zwar geht von Apps kaum ein Risiko aus, solange sie nur informieren oder dokumentieren. Anders sähe die Sache aber aus, wenn App-Entwickler irgendwann Bolus-Rechner für Insulin in ihre Produkte integrierten.
Die dafür notwendige Intelligenz steckt bereits seit Jahren in Insulin-Pumpen, wie sie Typ-1-Diabetiker nutzen. „Doch den Algorithmus dahinter kann auch ein Schuljunge programmieren“, warnt Bastian Hauck – und wer eine App nutzt, kann nur schlecht abschätzen, mit welcher Sorgfalt sie programmiert wurde und ob sie die Komplexität eines Bolus-Kalkulators tatsächlich beherrscht.
Wie findet man die richtige App?
„Wirklich harte Kriterien gibt es nicht“, sagt Bastian Hauck. Aktuell seien die Bemühungen, Diabetikern valide Entscheidungshilfen für Apps zu geben, noch in vollem Gange. Es sei jedoch in jedem Fall sinnvoll, eine App auf diese Aspekte hin zu überprüfen:
- Transparenz: Informiert der Anbieter im Impressum ausreichend über sich?
- Datenschutz: Wie geht die App mit den Informationen des Nutzers um?
- Funktionalität: Komme ich im Alltag mit der App voraussichtlich gut zurecht? Oder sind die angebotenen Funktionen zu komplex?
- Bewertung: Wie beurteilen andere Nutzer die App? Wird sie häufig weiterempfohlen?
Erfahrungsaustausch auf Facebook, Twitter und Co
Geht es darum, die richtige App zu finden, sind vor allem die Erfahrungen anderer Gold wert, findet Bastian Hauck. Online-Communities im Internet bieten dafür eine gute Grundlage. „Das ist im Grunde das Prinzip der klassischen Selbsthilfegruppe – nur eben im digitalen Raum“, findet Bastian Hauck. Die Communities bieten die Möglichkeit, gezielt nach Diskussionen zu bestimmten Themen oder Fragen zu suchen (sogenannte Threads) oder eben solche anzustoßen.
Auch Soziale Medien wie Twitter oder Facebook sind eine ideale Möglichkeit für Diabetiker, anderen Zuckerkranken gezielt Fragen zu stellen und mit ihnen zu diskutieren. Das, was eine gute App ausmacht, kann schließlich je nach individuellem Bedürfnis oder persönlicher Lebenssituation ganz unterschiedlich sein. Facebook-Gruppen oder Online-Foren bieten die Möglichkeit, sich mit Diabetikern auszutauschen, deren Bedürfnisse ähnlich sind und dadurch bestmöglichst von den Erfahrungen anderer zu profitieren.
Außerdem geht das auch noch ganz schnell: „Einfach anmelden bei einer Facebook-Gruppe, ein Problem schildern oder eine Frage stellen, und bereits nach zehn bis fünfzehn Minuten gibt es die ersten Antworten“, erklärt Bastian Hauck das Prozedere.
Bei der Online-Community #dedoc° geht es manchmal noch schneller: Jeden Mittwochabend findet um 21 Uhr ein Live-Chat auf Twitter unter #dedoc statt, an dem sich jeder über seinen Tablet-Computer oder sein Smartphone beteiligen kann. Das Thema des Chats (zum Beispiel Diabetes-Apps und -Medikamente, Ernährungsfragen, medizintechnische Neuerungen) wählen die Community-Mitglieder zuvor gemeinsam.