Probiotika stecken vor allem in Joghurt, Kefir und anderen Milchprodukten. Verdauung und Immunsystem sollen besonders davon profitieren. Oder nur die Umsätze der Hersteller? Wir erklären, ob und wann probiotische Lebensmittel der Gesundheit nutzen – und wann es auch ganz normaler Joghurt tut.
Nicht erst seit der Entwicklung probiotischer Joghurts wissen Mediziner um die Bedeutung von Bakterien für die Verdauung. Die Idee, sie durch Bakterien von außen positiv zu beeinflussen, ist nicht neu. Und sie ist so schön einfach, dass sie vor allem die Hersteller probiotischer Nahrungsmittel und Nahrungsergänzungsmittel immer wieder neu verbreiten. Einfach den richtigen Joghurt kaufen, täglich essen und schon ist die Verdauung im Lot?
Fest steht: Mit „Bio“ haben probiotische Lebensmittel nichts zu tun. Tatsächlich versteht man unter Probiotika lebende Mikroorganismen, die positive gesundheitliche Effekte haben können. Vor allem Bakterien, aber auch Hefepilze zählen zu den Probiotika.
Darmbakterien: Kleine Keime mit großer Wirkung
Bakterien tummeln sich in unserem Körper auch ohne probiotische Lebensmittel zuhauf – vor allem im Darm. Dort ernähren und vermehren sie sich unser ganzes Leben lang und fördern nebenbei Verdauung und Immunsystem. Im Idealfall geschieht das, ohne dass wir es bemerken. Erst wenn das Gleichgewicht der Vielzahl von unterschiedlichen Bakterien (in ihrer Einheit „Darmflora“ genannt) aus dem Gleichgewicht gerät, sorgen sie für Aufsehen. Zum Beispiel durch Durchfall, Blähungen oder Verstopfung. Hier sollen Probiotika, die durch Nahrungsmittel wie Joghurt oder Nahrungsergänzungsmittel in Pulver- oder Tablettenform eingenommen werden, helfen.
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Wichtig: Damit Bakterien probiotisch genannt werden dürfen, müssen 30 Prozent davon lebendig im Darm ankommen. Das ist nicht ganz einfach, denn auf ihrem Weg vom Mund dorthin müssen sie Magensäure, Gallensaft und Dickdarmflora überstehen.
Wie gesund sind Probiotika?
Probiotika siedeln sich im Darm an und fördern von dort aus die Gesundheit: Verdauungsbeschwerden lassen nach, die Immunabwehr (deren Zellen vor allem im Darm sitzen) werden gestärkt. So weit die Theorie.

Doch ganz so einfach ist es nicht:
Als Probiotika kommen vor allem Milchsäurebakterien wie Laktobazillen und Bifidobakterien zum Einsatz, die bereits von Natur aus im Darm leben. Mehr davon, so die Grundannahme der Probiotika-Fans, ist gut für den Darm. Entscheidend ist jedoch nicht die bloße Anzahl der Bakterien einer Art, sondern in welchem Verhältnis sie zu anderen Vertretern der Darmflora vorhanden sind.
Nur wenn das Gleichgewicht zwischen den mehr als 500 verschiedenen Bakterienarten im Darm stimmt, ist die Verdauung im Lot. Mehr vom Guten ist nicht unbedingt besser. Im Gegenteil: Ein, zwei Bakterienarten von außen zuzuführen, kann die Balance der Darmflora sogar stören.
Hinzu kommt: Probiotische Bakterien aus Lebensmitteln können sich nicht dauerhaft im Darm ansiedeln, sondern müssen ständig von außen neu zugeführt werden. Sobald der Nachschub stoppt, werden sie von den anderen Bakterien im Darm verdrängt.
Außerdem wehrt sich die Darmflora gegen alles von „außen“, denn sie erkennt, dass es nicht zu ihrer ursprünglichen Ausstattung gehört. Probiotische Bakterien stößt sie daher unter Umständen ab, bevor sie irgendeine Wirkung entfalten können.
Probiotische Lebensmittel: Viel Werbung, wenig Wirkung
Bis dato konnte eine gesundheitsfördernde Wirkung von Probiotika bei Gesunden nur für einzelne Aspekte und wenige Bakterienstämme wissenschaftlich belegt werden. Wer heute die Internetseiten der Joghurtdrinks, die früher als Verdauungshilfe gepriesen wurden, genauer betrachtet, stellt fest: Die Hersteller werben nicht mehr mit gesundheitsfördernden Effekten. Der Grund: Was nicht wissenschaftlich nachgewiesen werden kann, darf auch nicht behauptet werden – das untersagt seit 2007 eine EU-Verordnung.
Hinzu kommt: Damit die probiotischen Joghurtdrinks gut schmecken, steckt darin viel Zucker. Der wiederum bringt die Darmflora aus dem Takt, weil er das Wachstum bestimmter Bakterien einseitig fördert.
Wer seinem Körper Gutes tun will, sollte lieber zu ungesüßtem Joghurt oder Kefir greifen. Diese Milchprodukte wirken auch ohne Probiotika verdauungsfördernd und fördern die Darmflora. Studien konnten belegen, dass auch ganz normaler Joghurt die Verdauung während einer Durchfallerkrankung stabilisiert.
In der Medizin in Einzelfällen sinnvoll
Doch Probiotika als komplett wirkungslos abzutun, wäre falsch. Tatsächlich können bestimmte Lactobazillus-Stämme bei einigen Erkrankungen und Patienten eine positive Wirkung haben.
Eine Patientengruppe, die von Probiotika profitiert, sind ältere Menschen, die eine Behandlung mit Antibiotika hinter sich haben. Sie neigen ein bis drei Wochen nach dem Absetzen des Medikamentes zu Durchfall. Studien konnten belegen, dass Probiotika die Dauer der Erkrankung verkürzen. Eine weitere Studie an jüngeren Frauen zeigte, dass ein (nicht durch Antibiotika verursachter) Durchfall ebenfalls schneller vorbei war, wenn sie probiotischen Joghurt während der Erkrankung aßen. Außerdem können Probiotika Menschen helfen, die Probleme mit der Verdauung von Milchzucker (Lactose) haben.
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Weitere Erkrankungen, bei denen Probiotika helfen können, sind
- chronisch entzündlichen Darmerkrankungen (Colitis ulcerosa),
- Reizdarmsyndrom und
- schwere Darmentzündung bei Kleinkindern.
Wichtig zu wissen: Therapeutisch genutzte Probiotika gegen chronische Verdauungsbeschwerden werden in Tablettenform eingenommen, nicht über Milchprodukte. Die Behandlung sollte außerdem von einem Arzt überwacht werden.
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