Rund 5 Millionen Frauen und Männern leiden allein in Deutschland an Essstörungen. Zu den Hauptursachen zählen Leistungsdruck, Stress in Beruf und Alltag sowie falsche Vorbilder. Doch kann auch der Darm schuld sein?
Der Darm ist quasi das Zentrum unserer Gesundheit sowie des gesamten Immunsystems. Ist die Darmflora gestört, kann dies auch Auswirkungen auf die Sättigungshormone haben und zu Essstörungen führen. Wir sind der Frage, ob es einen Zusammenhang zwischen Darmflora und Essstörungen gibt, nachgegangen und klären auf.
Können Darmbakterien eine Essstörung verursachen?
Wir alle kennen das mulmige Gefühl in der Magengrube, den Blähbauch, die Übelkeit oder den plötzlich auftretenden Durchfall, wenn wir gestresst sind oder kurz vor einer Prüfung stehen. Insbesondere Leistungsdruck, Stress, Unzufriedenheit sowie innere Unruhen haben negative Auswirkungen auf unsere Darmflora.
Neben den psychosozialen Faktoren ist aber auch eine Fehl- oder Mangelernährung oftmals verantwortlich für die oben beschriebenen Symptome. Eine falsche oder sogar fehlende Ernährung führt zu einer Störung der Darmflora, sodass nicht mehr alle notwendigen Vitalstoffe aufgenommen und an den Organismus weitergegeben werden können. Häufig zu beobachten ist dies zum Beispiel bei Patienten mit Ess-Brech-Sucht, Magersucht, Binge-Eating (Fresssucht) oder radikalen Diäten.
Der Darm als „Immunbooster“
Neben der Tatsache, dass der Darm dabei hilft die zugeführte Nahrung zu verdauen, erfüllt er einen weiteren wichtigen Zweck: Er unterstützt das Immunsystem bei der Vernichtung schädlicher Krankheitserreger. Reibungslos funktioniert dies aber nur dann, wenn die vielen natürlichen Bakterienarten (Mikroben) im Darm in Ruhe „arbeiten“ können und nicht gestört werden. Verändert sich nun die Ernährung, wird die Signatur der Mikroben gestört und angegriffen. Ist die Darmflora also gestört, sind wir anfälliger für verschiedene Krankheiten.
Doch nicht nur eine schnelle Ernährungsumstellung oder ein verändertes Essverhalten, sondern auch Infektionen und Medikamente – insbesondere Antibiotika – können sich negativ auf die Stabilisierung der natürlichen Darmbakterien auswirken. Essstörungen wie Bulimie oder Magersucht können somit also nicht nur psychische Ursachen haben. Sie können auch die Folge einer schweren Infektion sein.
Hat die Darm-Hirn-Achse Einfluss auf unser Essverhalten?
Diese Frage ist eindeutig mit Ja zu beantworten, denn Darm und Gehirn kommunizieren miteinander und umgekehrt. Unter Medizinern wird der Darm deshalb auch gerne mal als zweites Gehirn bezeichnet. Die Kommunikation läuft dabei über verschiedene Wege:
- Enterisches Nervensystem
Im Darm befindet sich das sogenannte enterische Nervensystem. Die dort ansässigen rund einhundert Millionen Nervenzellen senden verschiedene Signale zwischen Gehirn und Darm hin und her.
- Zytokine
Zytokine sind Immunbotenstoffe, auf die das Gehirn reagiert. Gebildet werden die Botenstoffe von Zellen, die im Darm sitzen.
- Mikrobiota
Zwischen den auf natürliche Weise vorkommenden Bakterien im Darm und der Darmschleimhaut, findet ein reger Informationsaustausch statt. So werden zum Beispiel die durch die Darmbakterien gebildeten Stoffe vom Körper erkannt und die entsprechenden Informationen an das Gehirn weitergeleitet.
Insbesondere die Darmbakterien scheinen einen bedeutenden Einfluss auf die Appetitsteuerung und somit auch auf das Empfinden von Gefühlen wie hungrig oder satt zu haben. Im Rahmen verschiedener Tests wurde zudem festgestellt, dass der Anteil an Darmbakterien bei Magersüchtigen deutliche Unterschiede zu Menschen mit normalem oder Übergewicht aufzeigten. Es wird vermutet, dass bestimmte Bakterienarten für die Unterschiede verantwortlich sind, bewiesen ist diese Theorie jedoch noch nicht.

Zu welchem Ergebnis kommen Studien und Untersuchungen?
Obwohl wir wissen, dass unterschiedliche Formen von Essstörungen bereits seit vielen Jahrhunderten bekannt sind, sind die möglichen Ursachen immer noch sehr unerforscht. Klar ist, dass soziokulturelle Faktoren wie z.B. über die Medien suggerierte Schönheitsideale sowie erblich bedingte Vorerkrankungen und die Psyche im Allgemeinen eine Rolle spielen.
Wie weiter oben im Artikel bereits erwähnt, können Essstörungen aber auch durch Autoimmunerkrankungen, Medikamente oder verschiedenen Infektionen ausgelöst werden. Diese Beobachtung machte auch Cynthia Bulik (Professorin für Essstörungen). Ihr war aufgefallen, dass sich Patienten mit Essstörung und einem gefährlich niedrigen Gewicht oftmals erstaunlich gut fühlten und sogar hyperaktiv waren. Den Patienten ging es erst dann schlecht, wenn sie ernährt wurden. Für Bulik ein eindeutiger Beweis dafür, dass Essstörungen biologisch bedingte Ursachen haben mussten – wenn auch nicht ausschließlich.
Inzwischen gibt es mehrere Studien, die Buliks Vermutung bekräftigen. So fand eine Klinikstudie heraus, dass Kinder und Jugendliche, die nach einer Streptokokkeninfektion an der neurologischen Folgeerkrankung PANS litten, Symptome einer Essstörung aufzeigten. Zudem kamen groß angelegte Untersuchungen zu dem Ergebnis, dass es aller Wahrscheinlichkeit nach einen Zusammenhang zwischen Essstörungen und Autoimmunkrankheiten wie Diabetes Typ-1, Morbus Crohn und Glutenunverträglichkeit (Zöliakie) gibt.
Veränderte Darmflora bei Magersüchtigen
Gemeinsam mit einigen anderen Kollegen entdeckte Professorin Bulik im Jahr 2015, dass sich im Magen-Darm-Trakt von Magersüchtigen deutlich weniger natürliche Darmbakterien befinden, als dies bei gesunden Menschen ohne Essstörung der Fall ist. Auch wenn es sich aktuell immer noch um Hypothesen und keine wissenschaftlichen Beweise handelt, sprechen die Ergebnisse dennoch eine klare Sprache.