Sie wollen in Balance bleiben? Dabei Körper und Geist trainieren? Dann wagen Sie eine Zitterpartie! Slacklining, das Laufen auf einem Kunststoffband, hat sich zu einem Trendsport entwickelt. Der Berliner Coach Jonas Weidemann gibt Tipps für die ersten Schritte auf dem Seil.
Unter ihm gähnt der Abgrund. Im Hintergrund erheben sich Bergriesen vor einem eisblauen Himmel. In Zeitlupe setzt David Lama einen Fuß auf das Seil, hält inne. Er balanciert seinen Körper mit den Armen aus, zieht dann vorsichtig den anderen Fuß nach. Wie ein Seiltänzer bewegt er sich über die wacklige Konstruktion. David Lama, Kletterlegende und Slackline-Ass, ist ein Meister seines Fachs.
Klar, man kann auch über dem Grand Canyon oder der Moab-Wüste tänzeln – oder aber einfach im Stadtpark ein Seil zwischen zwei Bäume spannen. Ob knapp über dem Boden oder hoch in der Luft: Wo ein Seil ist, ist auch ein Weg.
Wer hat’s erfunden? Die Kalifornier!
Die Bedeutung des Slacklinings steckt in dem Wort selbst. Eine Slackline ist ein etwa zweieinhalb Meter breites Kunstfaser- oder Gurtband, das zwischen zwei Befestigungspunkten gespannt ist. Darauf zu laufen, ohne herunterzufallen, ist eine Kunst, die dem Seiltanzen ähnelt. Erfunden haben sie kalifornische Kletterer. Sie balancierten an Regentagen im Yosemite-Nationalpark auf Absperrketten und -tauen. Heute ist Slacklining ein Trendsport, der gleichermaßen Körper wie Geist fordert.
Sportlicher Balanceakt
Bei kaum einer anderen Sportart trainiert man das Gleichgewichtsgefühl so sehr wie beim Slacklining. Daneben geht es um absolute Konzentration. Nur wer den Kopf frei hat, schafft es ans andere Ende des Bandes. Für Jonas Weidemann*, Slackline-Enthusiast und -Trainer, hat der Sport viel mit Körpererfahrung zu tun.

„Es geht nicht um das Sich-miteinander-messen, nicht um schnell und rasant. Sondern darum, eins mit sich und dem Seil zu sein. Slacklining hat für mich auch einen meditativen Charakter und hilft, den Alltag zu entschleunigen.“
* Jonas Weidemann ist Slacklinining-Coach und Gründer von Slackliner Berlin. Die Community gibt viele Tipps und Tricks rund um den Sport, berät zum Kauf des richtigen Zubehörs und bietet deutschlandweit Workshops an.
Slacklining als gesundes Ganzkörpertraining
Neben Köpfchen ist auch Kraft gefordert. Slacklining trainiert die gesamte Rumpfmuskulatur. Stark beansprucht werden auch die Beine, insbesondere die Stützmuskeln in den Gelenken. Außerdem tun die Bewegungen den Knien gut. Es fühlt sich an, als würde man minutenlang in einer Kniebeuge verharren.
Die Stabilitätsübungen sollen das Risiko für Knöchel- und Knieverletzungen reduzieren und Rückenschmerzen vorbeugen. „Slacklining ist ein gesundes Ganzkörper-Fitnesstraining, das jede Menge Spaß bringt“, fasst Jonas Weidemann zusammen.
Kein Spaziergang
Wer erfahrenen Slacklinern zusieht, der unterschätzt deren Fertigkeiten meist. Dabei erfordert es einiges an Übung, bis die Seilüberquerung glückt. „Die ersten Schritte sind eine einzige Zitterpartie. Die Line wackelt und man denkt ‚das schaff ich nie‘! Das ist normal, weil der Körper die ungewohnten Bewegungsabläufe nicht kennt. Aber nach kurzer Zeit stellt sich das erste Erfolgserlebnis ein, weil er recht schnell lernt, mit den Schwingungen, die das Laufen auf dem Seil verursacht, umzugehen und sie ausgleicht.“
Anfänger kommen schneller voran, wenn sie einige Tipps beherzigen
- Erst stehen, dann gehen
Zunächst sollte man das sichere Stehen üben. Das erscheint anfangs etwas langweilig, bringt einen aber langfristig schneller voran. Denn: „Wer auf dem Seil stehen kann, kann auch laufen. Umgekehrt funktioniert das nicht“.
- Nach vorne blicken
Den Blick nicht auf den Boden oder die wackelige Line richten, sondern auf einen Fixpunkt am Ende des Seils.
- Es kommt nicht auf die Länge an!
Die Slackline nicht zu lange spannen. 7 bis 8 Meter sind am Anfang sinnvoll. Außerdem das Seil nicht zu hoch befestigen, am besten auf Kniehöhe. Und nicht direkt am Baum oder Pfeiler, sondern ein bis zwei Meter davon entfernt. All das hilft, dass die Line weniger wackelt.
- Weichen Untergrund wählen
Rasen oder Sand als Untergrund verringert das Verletzungsrisiko. Vor dem Spannen der Line den Boden nach Glasscherben und anderen spitzen Gegenstand absuchen.
- Seilschaften bilden
Eine stützende Hand kann die ersten Gehversuche erleichtern. Für schnelle Fortschritte empfiehlt sich ein Workshop, in dem man die grundlegenden Fertigkeiten des Slacklinings lernt. „Die Hälfte aller Teilnehmer schaffen es binnen eines 3-Stunden-Workshops, das Seil zu überqueren. Der Rest braucht 3-5 Tage.“ Eine Altersgrenze gibt es für den Sport nicht: Kinder hat Weidemann ebenso aufs Seil gebracht wie 80-jährige Senioren.
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Welche Line ist die richtige?
Das hängt von Verwendungszweck und Können ab. Wer etwa Tricks und Sprünge auf der Line machen möchte, braucht ein anderes Modell als jener, der „nur“ darauf gehen will. Für Anfänger eignet sich ein 15 Meter langes und 35 Millimeter breites Band. Außerdem gibt es spezielle Sets für Kinder und ältere Menschen.

Wie spanne ich ein Seil?
Normalerweise zwischen zwei ausreichend dicken Bäumen. Das Seil wird mittels einer Ratsche, wie man sie auch zur Transportsicherung verwendet, auf Spannung gebracht. Die handelsüblichen Sets enthalten bereits alles, was man zum Aufbau einer Line braucht – inklusive Baumschutz, damit das Seil die Rinde nicht verletzt. In vielen Parks gibt es mittlerweile Plätze, die speziell für Slackliner hergerichtet sind. Erhältlich sind aber auch Pakete, die den Seilsport in baumlosen Gärten oder Indoor möglich machen.
Die Berliner Seil-Spezialisten haben alle Tipps für Anfänger in einer Infobroschüre zusammengefasst.
>> Auch hilfreich: Eine Videoanleitung zum Aufbau einer Slackline
Wer bereits sicher auf dem Seil steht und über entsprechende Körperbeherrschung verfügt, kann auch andere Varianten des Sports ausprobieren. Von Salti über Sprüngen bis hin zu atemraubenden Seiltänzen über dem Abgrund ist vieles möglich.
Folgende Varianten des Sports gibt es:
- Funline – die normale Slackline
Die für Anfänger gebräuchlichste Variante wird auch Lowline genannt und etwa auf Kniehöhe gespannt. Das Verletzungsrisiko ist entsprechend gering.
- Jumpline – Spring vor Glück!
Jump- oder Tricklines werden extrem fest gespannt, damit sie als eine Art Trampolin fungieren. Luftakrobaten vollführen auf diesem Band mit speziellen dynamischen Eigenschaften atemraubende Tricks. Von Sprüngen und Drehungen bis zu Salti und Handständen ist alles möglich.

- Longlines – Es kommt doch auf die Länge an!
Wie der Name verrät, wird die Line über eine möglichst lange Strecke gespannt. Das steigert den Schwierigkeitsgrad, denn je länger das Seil ist, desto stärker schwingt es. Umso ruhiger muss der Slackliner gehen. Weil diese Variante eine gute Balance und Ausdauer erfordert, eignet sie sich nur für Fortgeschrittene.
- Highlines – Tanz über dem Abgrund
Beeindruckend und lebensgefährlich sieht es aus, wenn Slackliner über Schluchten und Canyons tänzeln. Das Risiko ist aber durchaus kalkulierbar, sagt Jonas Weidemann, der früher selbst Highlines gegangen ist. „Man braucht Leute, denen man blind vertrauen kann und die das Seil vernünftig aufbauen. Dann allerdings ist die Absturzgefahr gering.
Man ist immer gesichert (mit der sogenannten „Leash“) und die Slackline ist nochmals untersichert. Sollte sie reißen, gibt es eine zweite oder ein Kletterseil, das den Sturz abfängt“. Der Adrenalinkick beim Highlinen sei enorm. „Man steht in extremer Höhe, unter einem nur ein zweieinhalb Zentimeter breites Band. Das ist mit nichts vergleichbar, was ich bisher erlebt habe.“
- Rodeoline – Cowboys auf dem Seil
Eine Rodeoline wird an zwei Ankerpunkten ziemlich hoch befestigt, hängt aber in der Mitte knapp über dem Boden. Dadurch ist das Begehen einer solchen Line deutlich schwieriger als bei einer Funline.
- Waterline – Die Wasserläufer
Wer sagt, dass man nichts übers Wasser laufen kann? Bei einer Waterline wird das Band über einen Fluss oder einen See gespannt. Das Gehen über ein Gewässer ist herausfordernd, da feste Punkte zur Orientierung fehlen. Bei Flüssen kommt erschwerend die Bewegung des Untergrunds hinzu.
Jonas Weidemann hat schon etliche Lines beschritten, aber ein persönlicher Traum bleibt. „Ich würde gerne auf einem Seil zwischen zwei Kränen laufen, habe das aber leider bisher nie genehmigt bekommen.“ Bauunternehmer aufgepasst: Wer eine besondere Seilschaft mit dem Berliner eingehen möchte – bitte melden!