Erst „wollen“ Hände und Füße einfach nicht mehr so recht – die Muskeln dort fühlen sich schwach an. Dann treten auf einmal Zuckungen und Krämpfe auf, schließlich sogar Lähmungen. Wenn die Beschwerden fortschreiten und plötzlich die Diagnose ALS im Raum steht, ist nichts mehr wie es war. Wir erklären, was hinter der seltenen ALS Krankheit steckt, an der auch Physiker Stephen Hawking erkrankt war.
Die Amyotrophe Lateralsklerose (kurz: ALS, auch Myatrophe Lateralsklerose oder Lou-Gehrig-Disease genannt) ist eine Erkrankung des zentralen Nervensystems, die sich vor allem auf die Muskulatur auswirkt.
Welche Muskelgruppen als erstes betroffen sind, ist von Patient zu Patient unterschiedlich − ebenso wie die Geschwindigkeit, mit der sich die ALS Krankheit auf den gesamten Körper ausdehnt. Immer noch unklar ist, was die Erkrankung auslöst. Eine Heilung ist bis dato nicht möglich.
In Deutschland leiden etwa 6.000 bis 7.000 Menschen an der Krankheit, jährlich sind etwa 2.000 neu davon betroffen (Männer häufiger als Frauen). Die meisten erkranken im Alter zwischen 50 und 70 Jahren, weniger als 10 Prozent sind jünger als 40 Jahre bei der Diagnosestellung. Man geht davon aus, dass die Erkrankung der Nervenzellen einsetzt, lange bevor erste Symptome auftreten.
Die Ursache: zerstörte Nervenzellen
Im Körper steuern bestimmte Nervenzellen die sogenannte Skelettmuskulatur.
Skelettmuskulatur: alle Muskeln, die für die Bewegung des Körpers zuständig sind (zum Beispiel Arme und Beine, aber auch Atmung und Schlucken) und sich willkürlich steuern lassen. Im Unterschied dazu steuert die sogenannte glatte Muskulatur Muskeln, die sich nicht willentlich beeinflussen lassen und zum Beispiel für die Bewegungen des Darms oder die Weitung der Gefäße sorgen.
In der Fachsprache nennt man Bewegungen die Motorik des Körpers. Entsprechend werden diese Nervenzellen Moto-, Motorneurone oder motorische Nervenzellen genannt. Motorischen Nervenzellen kommen im Körper im Gehirn (Hirnrinde und -stamm) und im Rückenmark vor. Über Fortsätze, sogenannte Axone, stehen sie in Verbindung zu den Muskeln.
Die motorischen Nervenzellen von ALS-Patienten werden fortschreitend geschädigt bis sie schließlich zugrunde gehen. Die Signalübermittlung von Gehirn oder Rückenmark an die Muskeln wird dadurch gestört bis sie irgendwann ganz zum Erliegen kommt – eine Entwicklung, die nicht rückgängig gemacht werden kann.
Erste Anzeichen dieses neurologischen Verfalls sind Kraftlosigkeit, Krämpfe und Steifigkeit in isolierten Muskelgruppen (zum Beispiel in den Fingern). Früher oder später befällt die ALS Krankheit weitere motorische Nervenzellen und breitet sich auf den gesamten Körper aus. Das Fortschreiten der Erkrankung folgt dabei einem bestimmten Muster. Welches Prinzip dem zugrunde liegt, ist jedoch noch nicht erforscht.
Auslöser bis dato unklar
Was löst die Schädigung der motorischen Nervenzellen bei der ALS Krankheit aus? Diese Frage beschäftigt derzeit noch Wissenschaftler weltweit. Als sicher gilt bereits, dass problematische Eiweiß-Bausteine (Proteine) in den motorischen Nervenzellen eingelagert werden. Als Ursache für diese Fehlleistung des Körpers vermutet man in den meisten Fällen krankhaft veränderte Gene. Bei etwa jedem zehnten Patienten scheint ein erblicher Gendefekt für den Ausbruch der Krankheit verantwortlich zu sein.
Ob Genmutationen jedoch der alleinige Auslöser sind oder ob noch andere, innere und äußere Einflüsse eine Rolle spielen, ist noch unklar. Vermutet wird zum Beispiel, dass der körpereigene Botenstoff Glutamat sowie entzündliche und zellschädigende Prozesse, an denen Sauerstoff beteiligt ist („oxidativer Stress“), ebenfalls eine Rolle bei der Entstehung der ALS Krankheit spielen.
Einige Studien weisen auch darauf hin, dass chemische Substanzen wie Chlorkohlenwasserstoffe (enthalten in Unkrautvernichtungsmitteln), oder Kopfverletzungen (zum Beispiel Schädel-Hirn-Traumata) das Risiko, an der ALS Krankheit zu erkranken, erhöhen.
Symptome und Verlauf von ALS
Anders als ein Herzinfarkt oder ein Schlaganfall stellt ALS das Leben der Betroffenen nicht von jetzt auf gleich auf den Kopf, sondern schleicht sich langsam in den Alltag.
Erste Anzeichen von ALS
Zunächst klagen die Patienten über einen Kraftverlust der Muskeln, häufige Krämpfe, Steifigkeit und unkontrollierbare Muskelzuckungen. Welche Muskelgruppe als erstes davon betroffen ist, hängt davon ab, welche motorischen Nervenzellen als erstes geschädigt werden. Das kann von Patient zu Patient völlig unterschiedlich sein:
Sind die motorischen Nervenzellen des Gehirns als erstes betroffen, sind meist Schluck- oder Sprechstörungen erste Symptome. Die Sprache wird langsamer und undeutlicher, der Speichelfluss nimmt zu. Erst später breitet sich die Erkrankung auf Arme und Beine aus.
Erleiden die Motoneuronen des Rückenmarks als erstes Schaden, sind meist die Muskelgruppen an Armen oder Beinen betroffenen. In den meisten Fällen klagen Betroffene über Beschwerden in den Händen. Eine Tasse zu greifen oder einen Stift zu halten, fällt ihnen auf einmal schwer.
Diese große Bandbreite an Symptomen macht es für Betroffene wie Ärzte schwer, die ALS Krankheit frühzeitig zu erkennen. Erste Anzeichen wie unsicherer Gang, verlangsamtes Sprechen oder häufige Krämpfe werden lange anderen Ursachen zugeschrieben.

So verläuft ALS
Sicher ist lediglich, dass die Krankheit fortschreitet. Eine genauere Prognose zum Verlauf ist jedoch bis dato nicht möglich. Auch die Geschwindigkeit, mit der die ALS Krankheit den gesamten Körper erfasst, ist sehr unterschiedlich. In machen Fällen dauert es wenige Wochen, in anderen mehrere Jahre, bis die Beschwerden die Lebensqualität des Patienten stark einschränken.
Schreitet die Krankheit voran, erfasst sie zunächst benachbarte Muskelgruppen. Schließlich greift sie auf die gesamte Skelettmuskulatur über. Dazu gehören auch die Gesichtsmuskeln (inklusive Zunge) oder die Muskeln, die für die Weitung des Brustkorbes bei der Atmung sorgen. Daher sind nicht nur Arme und Beine, Hüftmuskulatur oder der Rücken von Kraftverlust und Lähmungen betroffen. In einem fortgeschrittenen Stadium der Krankheit verlieren die Betroffenen ihre Mimik, können sich nicht mehr mündlich oder durch Gesten verständlich machen und leiden unter Atemnot.
Die Nervenzellen der Sinnesorgane wie Augen oder Ohren sind von der Erkrankung nicht betroffen, ebenso wenig wie die der glatten Muskulatur, die zum Beispiel Darm oder Blase steuert. Auch die geistigen Fähigkeiten bleiben von ALS unberührt – nur etwa fünf Prozent der Erkrankten leiden unter Demenz.
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Schmerzen verursacht ALS nicht, da die schmerzsensiblen Nerven nicht betroffen sind. Erst wenn es zu deutlichem Muskelschwund kommt und die Stützfunktion der Muskeln so weit verringert ist, dass die Belastung der Knochen und Gelenke zu stark wird, klagen die Patienten über Schmerzen.
Die durchschnittliche Lebenszeit nach der Diagnose beträgt drei bis fünf Jahre. Bei etwa zehn Prozent der Patienten schreitet die Krankheit langsamer voran. Sie leben nach der Diagnose noch fünf Jahre oder länger. Nur wenige Betroffene leben über zehn Jahre lang mit der Krankheit, wie etwa Physiker Stephen Hawking – er lebte über 50 Jahre lang mit ALS, ehe er Mitte März 2018 daran starb.
So erkennt der Arzt ALS
Vor der Diagnose steht eine neurologische Untersuchung. Für eine Diagnose der ALS Krankheit müssen bestimmte Voraussetzungen erfüllt sein. Eine davon ist, dass diese charakteristischen Symptome gemeinsam auftreten:
- fortschreitende Lähmungen
- Muskelschwund
- gesteigerte Reflexe in den betroffenen Muskelgruppen
- gesteigerte Muskelspannung, die sich in Krämpfen oder Steifigkeit äußert
Ergänzt wird die Untersuchung durch eine Zusatz- und Ausschlussdiagnose. Der Arzt muss sicher gehen, dass keine andere neurologische Erkrankung als Auslöser infrage kommt (die in den meisten Fällen einfacher zu behandeln wäre als ALS). Dazu testet er zum Beispiel die Übertragungsgeschwindigkeit der Nerven, untersucht das Blut und das Nervenwasser und entnimmt eine Probe des Nerven- oder Muskelgewebes (Biopsie).
Therapie von ALS
Die Behandlung der ALS Krankheit hat zum Ziel, Symptome zu lindern und das Fortschreiten der Erkrankung zu verlangsamen. Sie umfasst Medikamente und nicht-medikamentöse Maßnahmen, Hilfen bei der Mobilität und der Verständigung sowie Ernährungstherapie und Atemhilfen.
Medikamente gegen ALS
Einzig zugelassener Arzneistoff für eine Basismedikation von ALS ist Riluzol: Er setzt bei der Grunderkrankung an und sorgt dafür, dass die Schädigung der Nervenzellen langsamer voranschreitet. Stoppen lässt sich die Erkrankung dadurch jedoch nicht. Die Wirksamkeit von Riluzol ist belegt, sein genauer Wirkmechanismus jedoch noch unbekannt. Rilulzol sollte sofort nach Diagnosestellung und über den gesamten Krankheitsverlauf hinweg eingenommen werden.
Daneben kommen bei ALS zahlreiche Medikamente zur Linderung der Symptome infrage: Angst und depressive Verstimmungen, die die Erkrankung häufig begleiten, werden zum Beispiel mit Antidepressiva behandelt. Gegen die unwillkürlichen Muskelanspannungen (Spastiken) werden physikalische Therapien oder spastiklösende Medikamente verschrieben. Auch die Krämpfe können mit unterschiedlichen Wirkstoffen gemindert werden.
Um den Abbau der Atemmuskulatur zu kompensieren, kann im Verlauf der Erkrankung eine Maskenbeatmung sinnvoll sein oder ein Gerät, das den Hustenstoß verstärkt. In Einzelfällen kommen auch Medikamente zum Einsatz, die die Schleimbildung in den Bronchien hemmen.